Foto: Leipziger Buchmesse

Bücher zu schreiben, ist anstrengend, weiß Maike Albath. Sie weiß es, weil sie es schon ziemlich lang tut und weil sie am liebsten über Bücher schreibt. Im Booktalk verrät sie unter anderem, wie man die Mühen der Ebene überwindet und warum sie nie nur über Bücher schreibt, sondern auch über ihre Schöpfer und deren Leben. Aus gegebenem Anlass sprach ich mit ihr über ihr „sizilianisches“ Buch.

Bücher über Bücher

Wie Maike Albath über Literatur schreibt

Der Zug fährt in den Bauch der Fähre hinein und auf der anderen Seite wieder heraus und dann die Küste hinunter, bis nach Syrakus. Man sieht die mächtigen Schiffe gemächlich über die Meerenge kreuzen. Es ist ein hochliterarisches Terrain.“
Das hochliterarische Terrain ist Sizilien, die Insel am südlichen Ende Italiens, kulturelle Herzkammer des Mittelmeerraums, Wegweiserin italienischer Literatur und Heimat vieler ihrer Größen.

Giuseppe Tommasi di Lampedusa
Leonardo Sciascia
Andrea Camilleri

Maike Albath hat über die meisten von ihnen gesprochen und geschrieben. Über Dichter und Verleger, politische Autoren und Kriminalschriftsteller, die alle weit über die Grenzen Italiens hinaus berühmt wurden. Ihre Radioreportagen, aus denen schließlich Bücher wurden, führen sie seit 40 Jahren immer wieder in das Land, das ihr zur zweiten Heimat wurde. Sie kennt seine Literatur wie kaum sonst jemand, ist zuhause in Kultur- und Geistesgeschichte eines aus hiesiger Sicht oft unübersichtlichen Landes.
Sie nähert sich Sizilien so, wie es für viele der Protagonisten von „Trauer und Licht“, ihrem in der Tiefe aufklärenden Buch über die sizilianische Literatur, lange üblich war. Langsam.
Um ein Gespür für die Geographie des äußersten Südens von Italien zu bekommen, muss man mit Zügen und dem Schiff reisen.“

In früheren Zeiten konnte die Passage über die Straße von Messina zwei Tage dauern. Seit 1958 bringt das Tragflügelboot seine Passagiere in einer halben Stunde vom Festland auf die Insel. Dort besteigt die Bahn, wer weite Umwege nicht scheut. Dafür wird man mit dem Anblick „lieblicher Küstenlandschaften mit Palmen, Hibiskus, Oleander, Eukalyptus und Orangen- und Zitronenbäumen“ belohnt.

„Wart Ihr nicht völlig verrückt danach, nur ja nach Sizilien zu kommen?“
Stefano D’Arrigo, Horcynus Orca

Dreharbeiten bei Lucchino Viscontis Verfilmung des „Gattopardo“ mit Burt Lancaster in der Hauptrolle

Landschaften und Orte, aber vor allem die Wege weg von der Insel und zurück zu ihr spielen für sizilianische Autoren seit jeher eine von Zerrissenheit geprägte Rolle. Einer, der – obwohl ein großer Reisender – zeit seines Lebens Palermitaner blieb, wurde nach seinem Tod 1957 zum berühmtesten Schriftsteller der Insel überhaupt.

SW   Giuseppe Tomasi di Lampedusa erlebte den für viele überraschenden Welterfolg seines einzigen Romans „Il Gattopardo“ nicht mehr. Was hat es mit dem Buch auf sich, dass Sie ihm und seinem Schöpfer fast ein Drittel Ihres Buches widmen?

Maike Albath   Manche Schwerpunkte setzen sich selbst. Lampedusa hat aus dem Stand einen Weltbestseller geschaffen, mit dem niemand gerechnet hatte. Das Buch löste kontroverse Debatten aus, verkaufte sich aber rasend schnell. Das Publikum war begeistert. 1959 verlieh man Lampedusa posthum den höchsten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega, und wenige Jahre später wurde „Il Gattopardo“ von Lucchino Visconti grandios verfilmt. Die Gewichtung im Buch ergibt sich auch aus dem Materialreichtum zu diesem literarischen Jahrhundertereignis, das ich glücklicherweise durch meine Gespräche mit Zeitzeugen und Nachkommen noch erweitern und ergänzen konnte.

Die Fülle des Materials wächst auch mit der Entscheidung, einen Autor und sein Werk nicht isoliert zu betrachten – wie es nicht selten im Schreiben über Literatur der Fall ist –, sondern einbettet in seine Zeit und seine Umgebung. Was bewegt Sie bei Ihrem Schreiben über Literatur zu den ausgedehnten biografischen und historischen Exkursen?

Natürlich darf man Autor und Erzähler nicht miteinander verwechseln. Aber ich denke, dass die Biografie eines Autors wichtig ist, ebenso wie die Umgebung, in der er sich ganz konkret und auch gedanklich bewegt, auch seine Familie und seine Lebenssituation. Für sizilianische Autoren hat die Beschäftigung mit der Insel als Ort, als Atmosphäre und als schwierige Heimat seit jeher eine große Rolle gespielt, die Auseinandersetzung mit dem, was Leonardo Sciaschia „sicilianità“ nannte. Wenn man das – auch in der Literatur – verstehen will, sollte man diesen Atmosphären nachspüren, mit den Menschen vor Ort reden und sich mit der Geistes- und Kulturgeschichte auseinandersetzen. Es gibt aber noch einen anderen Grund für die biografischen Strecken in meinen Büchern: Ich interessiere mich nicht nur für Leonardo Sciascias Bücher, sondern auch dafür, wie er aussah und sprach, wer seine Wäsche gewaschen hat und mit wem er Kaffee trank oder zu Abend aß. Und auf diese Dinge sind auch meine Leserinnen und Leser neugierig.

Apropos Biografie. Etliche Rezensenten Ihrer Bücher loben die „glänzenden biografischen Miniaturen“ oder die „gelungenen biografischen Skizzen“. Wie schreiben Sie denn so etwas?

Ein Rezept habe ich dafür eigentlich nicht. Wenn man weit über 30 Jahre im Beruf ist, muss man über vieles, was das Schreiben angeht, nicht mehr nachdenken. Wie schreibe ich so etwas? Vielleicht beginne ich mit einem Ort oder einem Gebäude, in dem die Person sich bewegt. Es kann auch eine Atmosphäre sein, mit der ich einsteige, oder ein Gespräch unter mehreren Leuten – und dann geht es weiter.

Wenn Sie über Literatur schreiben, stellen Sie dabei die Autoren in den größeren Kontext ihres Lebens. Sie erzählen ihre Geschichte, beschäftigen sich mit der Geografie, den Familiengeschichten und nehmen viele andere Quellen hinzu. Wie ordnet man eine solche Fülle an Stoff?

Ich stelle mir als Richtschnur ein flexibles Inhaltsverzeichnis zusammen. Aber ich mache mir keinen starren Plan. Vieles ergibt sich aus dem Material selbst. Wichtig ist nur, dass man sich Zeit nimmt, damit am Ende alles stimmig ist. Und dann komme ich vom Radio, bin also das Arbeiten mit O-Tönen gewöhnt, auch das gibt eine Richtung vor. Für mich müssen sich die Figuren, Szenen, Erläuterungen organisch ineinanderfügen.

Sie schreiben über Leonarda Sciascia, dass er seine Werke in der Regel nach ausgedehnten Vorarbeiten und Archivbesuchen innerhalb weniger Wochen niederschrieb. Wie organisieren Sie selbst Recherche und Niederschrift?

Wenn man berufliche Verpflichtungen hat, müssen Recherche und Niederschrift ineinandergreifen. Man hat kaum Gelegenheit, ein Buch in einem Stück zu schreiben. Ich selbst habe ja den Vorteil, dass viele meiner Bücher zuerst Radioreportagen waren, die schon auf der Basis von Recherchen entstanden sind.
Wenn man – anders als zum Beispiel Sciascia – nur mit Unterbrechungen schreiben kann, ist eine Sache besonders wichtig: Man muss immer weiterschreiben und darf im entstehenden Buch nicht all zu weit zurückgehen oder gar von vorn anfangen und das bereits Geschriebene immer wieder einer vollständigen Revision unterziehen. Auf diese Art wird ein Buch niemals fertig.

Ihre Radioreportagen haben an vielen Stellen auch in der Form Eingang in Ihre Bücher gefunden, inklusive der berühmten O-Töne. Hilft das Reportagehandwerk beim Schreiben eines Buches?

Das Handwerk ist immer hilfreich, vor allem, wenn es darum geht, den richtigen Ton zu wählen. In der Radioreportage kann ich erzählen wie am Küchentisch. Das funktioniert auch im Buch. Das Reportagehandwerk bringt aber noch einen anderen Vorteil: Man versteht zu kürzen und exemplarisch zu arbeiten, anstatt ein Buch mit allem, was man weiß, zu überfrachten. Um auf die biografischen Skizzen zurückzukommen: Personen eignen sich oft hervorragend als Träger einer Sache, die man darstellen will.

Eines der wichtigen Themen beim Verfassen von Büchern ist die Zielgruppenansprache. An wen denken Sie beim Schreiben?

An meinen Verleger Heinrich von Berenberg. Er ist der Musterleser, für den ich schreibe und mit dem ich schließlich klären muss, was geht und was nicht. Es ist enorm hilfreich, sich beim Schreiben auf eine Person zu konzentrieren.

Welches ist Ihr sizilianisches Lieblingsbuch?

Federico De Roberto, I viceré, Milano 1894
Die Vizekönige, München 1959 (nur antiquarisch erhältlich)

Bücher zu schreiben ist anstrengend, weiß Maike Albath, auch wenn es um so schöne Themen geht wie das legendäre Turiner Verlagshaus Einaudi oder die literarischen Hochzeiten im Rom der fünfziger und sechziger Jahre. Was trägt, ist außer dem Handwerk und den tiefen Kenntnissen, die es einem ermöglichen zu erkennen, was man weglassen kann, vor allem eines: die Liebe zur Sache – und die Hoffnung, dass die Zeiten, in denen Bücher noch die Welt verändern konnten, irgendwann zurückkehren.

Dr. Maike Albath ist Literaturkritikerin, Redakteurin, Moderatorin und Autorin (Deutschlandfunk, Deutschlandradio, Die ZEIT, Süddeutsche Zeitung) – und eine der profiliertesten Kennerinnen der italienischen Literatur und Gegenwartskultur. Seit 2021 ist sie Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
Wikipedia

Maike Albath
Rom, Träume
304 Seiten · Abbildungen · Halbleinen · fadengeheftet · 134 x 200 mm
2. Auflage
Auch als E-Book erhältlich
Herbst 2013
ISBN 978-3-937834-65-8
EUR 25,00

Berenberg 2013

Maike Albath
Trauer und Licht
352 Seiten · Abbildungen · Halbleinen · fadengeheftet · 134 × 200 mm
Auch als E-Book
Frühjahr 2019
ISBN 978-3-946334-50-7
EUR 25,00

Berenberg 2019

Maike Albath
Der Geist von Turin
224 Seiten · Abbildungen · Halbleinen · fadengeheftet · 134 x 200 mm
Auch als E-Book
Frühjahr 2021
ISBN 978-3-949203-05-3
EUR 25,00

Berenberg 2021