Wir schreiben auf der Parkbank unterm Baum. Oder im Café. Mit Kaffee und Handy im Schlafanzug, nachdem wir gegen Mittag aufgestanden sind. Aber das wussten Sie ja schon. Die britische Autorin Sian Meades-Williams nimmt in ihrem Buch „The Pyjama Myth. Freelance Writer’s Survival Guide“ die Zuschreibungen der Ahnungslosen gegenüber den Schreiberlingen aufs Korn.
Schreiben, Schlafen, Geistesblitze
Echte Kreative sind gut ausgeruht
Schreiben ist eine ziemlich anspruchsvolle intellektuelle Transferleistung, die nie „nur“ Schreiben ist. Tatsächlich gibt es einen richtigen Zusammenhang zwischen Schlafen und Schreiben: Um gut schreiben zu können, muss man ausgeschlafen sein. „Die Arbeit an der Sprache ist Arbeit am Gedanken“, lehrt uns Friedrich Dürrenmatt.
Und genau dabei brauchen sowohl der ordentliche wie auch der ordnende Gedanke ein ordentlich aufgeräumtes Gehirn.
Verblödung durch Schlafentzug
Wer hätte unter all den Superperformern mit ihren (angeblichen) 80-Stunden-Wochen und ihrem substanzinduziertem Schlafentzug gedacht, dass das Gehirn sich ausgerechnet im Schlaf aufräumt? Wissen die eigentlich nicht, dass sie garantiert verblöden, wenn sie nicht ordentlich schlafen? (Ob das einer der Gründe für das Aufkommen der Firlefanz-Ökonomie ist?) Sogar die BILD-Zeitung lässt einen Schlafforscher „Mehr Mittagsschlaf für alle“ fordern und beklagt zugleich eine regelrechte Epidemie an Schlafstörungen im Lande. Nicht auszudenken, wo das hinführt.
Ohne Schlaf können Nervenzellen sich nicht optimal verknüpfen, Neurotransmitter arbeiten nicht richtig. Das macht uns nicht nur traurig und missmutig, sondern auch denkträge, weiß der Neurobiologe und Schlafforscher Albrecht Vorster von der Universität Tübingen. Erst im Schlaf werden aufgenommene Informationen und Erinnerungen zu sinnvollem Wissen.
Falls man also Interesse an sinnvollem Wissen hat, kann man es zum Beispiel aufschreiben. Schreiben ist nämlich ebenso wie ausreichender Schlaf nachweislich ein unschlagbares Mittel, etwas für die geschätzte Intelligenz zu tun.
Gescheit durch Schreiben
Schreiben ist keine isolierte eindimensionale Kompetenz, die einem zuvor Gedachtem irgendwie übergestülpt wird. Vielmehr bringen wir unser Wissen in eine Ordnung, die es vor dem Schreiben nicht hatte. Aber wir denken doch auch ohne Sprache, höre ich da. Sicher tun wir das. Es ist das Denken, das wir mit allen unseren Vorfahren unter den Tieren gemeinsam haben. Unser „höheres“ Denken allerdings funktioniert nur mit Sprache (sogar in der Mathematik). Dieses Denken wiederum ist geprägt von der Kultur, in der wir aufwachsen – vermittelt durch die Muttersprache.
Aus gegebenem Anlass zitiere ich auch gern Wilhelm von Humboldt, der schon zu seiner Zeit einen reduzierten Sprachbegriff beklagte. „Den nachteiligsten Einfluss auf die interessante Behandlung jedes Sprachstudiums hat die beschränkte Vorstellung ausgeübt, dass ( …) das Wort nichts als Zeichen einer unabhängig von ihm vorhandenen Sache, oder eines ebensolchen Begriffs ist.“ Na bitte.
Gut zu schreiben heißt, etwas auf den Punkt zu bringen, klar zu denken, Struktur zu erkennen und zu schaffen. Gut schreiben zu können, heißt gut zu organisieren, sich konzentrieren zu können und schwierige Perspektivwechsel spielend hinzubekommen. Schreiben ist ganz sicher nicht irgendein „Soft Skill“-Ding, wie es so gern von manchen Unternehmen und Universitäts-„Career-Centers“ genannt wird. – Es als das zu bezeichnen, ist wirklich eine Unverschämtheit!
In Zukunft kombinieren Sie also bitte Schlafen und Schreiben auf vernünftige Weise. Dann kommen Sie auch hinter das Geheimnis des Geistesblitzes. Notieren Sie Ihren Plan für Artikel, Buch, neue Webseite, Blogpost oder was auch immer auf einem großen Blatt (ein schönes Notizbuch tut’s auch immer), und dann machen Sie Pause. Aber nicht nur fünf Minuten. Lassen Sie Ihre Notizen am besten bis zum nächsten Tag liegen. Verlassen Sie sich auf die natürliche Arbeitsweise Ihres Gehirns, das im Hintergrund alle Stücke an den rechten Platz rückt. Es arbeitet sehr gut auch ohne „Steuerung“ und das in der Regel sogar besser. Die guten Einfälle kommen übrigens oft, wenn man an etwas ganz anderes denkt. Es passiert häufig bei automatischen Tätigkeiten, zum Beispiel beim Geschirrspülen, gern auch kurz vor dem Einschlafen.
Oder flanieren Sie. Auch Gehen macht schlau, wie sogar die Wissenschaft inzwischen zugibt. Passionierte Flaneure wussten das schon immer.
Hier können Sie nachlesen, welche dunklen Mächte uns in diese schlaflose Bredouille gebracht haben.
Schöne Texte
Kommt ein Wort ins Gehirn, der alte Bibliothekar schlurft zum Lexikon und schlägt nach. Das Wort heißt „Wort“, sagt er und ist … ein Wort. Die moderne Variante des Lexikons im Gehirn ist eine Datenbank, in der das Wort mitsamt seiner genauen Bedeutung liegt. Das Problem ist nur: Wörter haben keine feste Bedeutung. Beim Lesen gleicht das Gehirn Bekanntes mit Unbekanntem ab, bewertet das Gelesene und weist dann Bedeutung zu. Wörtlichkeit ist immer die Ausnahme. In meinem, wie ich finde, kurzweiligen Buch über die Wirkung von Sprache mit vielen Einsichten in die neurowissenschaftliche Forschung zum Thema zeige ich, warum es eine Rolle spielt, ob wir gut oder schlecht schreiben. Bei nebelhaft und passiv geschriebenen Texten voller Nominalphrasen und Funktionswortgefügen geht das Gehirn auf Sparflamme und fragt: Ist das Text oder kann das weg? Sachlichkeitsillusionen werden mit Sprachdenken konfrontiert, „objektive Wahrheiten“ mit kulturellen Kontexten. Ein Praxiskapitel überträgt die überraschenden Einsichten auf das Handwerk des Schreibens.
Demnächst erscheint eine Fortsetzung dazu, wie immer Menschen von ihren wichtigsten und kostbarsten Kulturtechniken getrennt werden – eine Art sozialer Eugenik in Zeiten versuchter Re-Feudalisierung.