Mit Tinte im Blut und auf allerhand Umwegen kam der Wissenschaftsjournalist Ulrich Schnabel zu seinem Beruf. Als Buchautor macht er die Wissenschaft lebensdienlich und wird ein freundlicher Komplize seines Publikums.
Im Booktalk verrät er mir, von welcher Entscheidung dabei alles abhängt und wie lange Spaziergänge mit fiktiven Gesprächspartnern beim Schreiben helfen.

Foto: Martina van Kann
Die Kunst, den richtigen Ton zu finden
Ulrich Schnabel und das Buch als Lebensform
Eine Zeitlang wollte Ulrich Schnabel Tonmeister werden. Es schien ihm die beste Verbindung zwischen Musik und Mathematik zu sein. Schließlich wurde es doch ein Physikstudium – bis eines Tages eine Frage vor ihm stand wie ein Menetekel: Soll ich etwa Chips bei Siemens bauen? Gute Lehrer und gute Gespräche über die philosophischen Implikationen der Quantenmechanik ließen ihn das Studium bis zum Ende durchhalten.
Und dann? Was tun? Bald erschien die Erleuchtung in Form einer Regung von Tinte im Blut. Ulrich Schnabel kam auf den „Trip mit dem Wissenschaftsjournalismus“. Er schrieb Artikel für verschiedene Zeitungen und landete irgendwann als Praktikant bei der ZEIT. Aus dem Praktikum wurden bis heute mehr als 25 Jahre in der Wissenschaftsredaktion der Wochenzeitung.
Dass Journalisten Bücher schreiben, ist nichts Ungewöhnliches. Doch der Weg vom Journalismus zum Bücher schreiben ist nicht so gerade, wie mancher denken mag. „Meine ersten Bücher waren noch sehr wissenschaftsjournalistisch“, erzählt Ulrich Schnabel. Es blieben Berichte über die Stimmen und das Wissen anderer, wie zum Beipiel in „Wie kommt die Welt in den Kopf?“ (mit Andreas Sentker) oder „Die Vermessung des Glaubens“. Das sollte anders werden.
„Muße“, das erste „eigene“ Buch, beschreibt das Glück des Nichtstuns und trifft damit in einer vor Effizienzdelirien taumelnden Welt einen Nerv. Mit der Absicht, etwas – für sich selbst und für andere – Lebensdienliches zu schreiben, lässt Ulrich Schnabel einige der ehernen Regeln des Journalismus hinter sich. Er spricht die Leser direkt an, erzählt von sich selbst, auch von eigenem Misslingen. So entsteht bei aller wissenschaftlichen Akribie, die immer Grundlage seines Schreibens bleibt, eine freundliche Komplizenschaft zwischen dem Schreiber und seinem Publikum.
“Die Wahl des richtigen Tons ist am Anfang fast die größte Hürde. Von dieser Entscheidung hängt alles ab: das Format, die Auswahl des Stoffs, die Struktur, die Dramaturgie, der rote Faden.”
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SW In Journalismus und Wissenschaft ist es verpönt, von sich selbst zu reden, sich also nahbar zu machen. Warum hast Du es trotzdem getan?
Ulrich Schnabel Für einen Journalisten ist es tatsächlich erst einmal nicht leicht, diese andere Art Position einzunehmen. Aber der Erfolg lohnt die Mühe. Ich erlebe es in den Reaktionen auf meine Bücher und in meinen Vorträgen. Die Menschen sind froh darüber, dass sie nicht von einer distanzierten Autoritätsperson belehrt werden. Sie möchten Aufklärung, aber auch Rat. Wenn man ehrlich auftritt und ihnen auf menschlicher Ebene entgegenkommst, reagieren sie offener. Sie akzeptieren sie dich trotz deines Wissensvorsprungs als einen der ihren und nehmen leichter an, was man vermitteln möchte.
Aber ist es nicht dennoch für einen Journalisten leichter als für andere, ein Buch zu schreiben?
Ja und nein. Als Profischreiber habe ich natürlich gewisse handwerkliche Grundlagen. Allerdings kann genau das schnell auf eine schiefe Ebene führen. Etliche Kollegen unterschätzen die Arbeit auf der Langstrecke und wundern sich, dass sie sich so quälen. Andere scheitern an ihrem Anspruch, als Profis müssten sie auf Anhieb einen Bestseller landen und wieder andere überfrachten ihre Werke mit ihrem immensen Wissen und machen sie auf diese Art unleserlich.
Was braucht man denn für die Langstrecke?
Ein klares Thema, die Entscheidung, für wen ich schreibe und wie ich mein Publikum anspreche. Ich brauche Disziplin und muss wissen, welche Geschichte ich erzählen möchte. Das grundsätzliche Zutrauen, auch ausdrücken zu können, was ich sagen will, sollte nicht fehlen.
Und dann probiert man am besten mal etwas aus.
Etliche Deiner Bücher sind außer Aufklärung auch Handreichungen für ein gelingendes Leben. Was ist für Dich das Wichtigste, wenn Du mit einem solchen Buch beginnst?
Die Wahl des richtigen Tons ist am Anfang fast die größte Hürde. Von dieser Entscheidung hängt alles ab: das Format, die Auswahl des Stoffs, die Struktur, die Dramaturgie, der rote Faden. Auf welcher Ebene rede ich zu den Leuten? Wie möchte ich dem Lesepublikum gegenüber treten? Wähle ich eine persönliche, vielleicht auch biografische Ebene? Gebe ich mich leicht provokativ? Bin ich eine Art Reisebegleiter in einem Erkenntnisprozess? Wie vermittele ich Wissen, ohne als Oberlehrer aufzutreten? Wie schaffe ich die Atmosphäre, die ich brauche, um Wissen zu vermitteln?
Wenn ich bei dieser Frage Klarheit gewinne, sortiert sich alles an die richtige Stelle. Andernfalls sind die Schreibprobleme programmiert.
So eine Gewissenserforschung ist kein Spaziergang. Schon gar nicht, wenn man vom eigenen Thema überzeugt ist und denkt, dass die Welt nur darauf gewartet hat. Wie bewahrt man sich selbst vor Fehlern?
Indem man mit wohlgesonnenen Menschen redet, die einen kennen und mit denen man sich darüber unterhalten kann. Andere erkennen ja in der Regel oft besser als man selbst, wo die eigentlichen Hürden liegen. Sie bewahren einen davor, sich zu etwas quasi Wesensfremdem zu versteigen, das man am Ende nicht durchhalten würde.
Zu welchem Ton hast Du in Deinen Büchern gefunden?
Ich präsentiere zwar viel Wissen, aber ich versuche nicht zu belehren. Mein Wissen kleide ich in Geschichten, so dass die Leser gar nicht merken, dass sie gerade ganz viel lernen. Ich versuche das, was ich weiß, in einem freundlichen, humorvollen Plauderton zu vermitteln, und da ich auch von mir selbst erzähle, werde ich als authentisch wahrgenommen. Selbstironie und ausreichend Distanz zu sich selbst sind auch immer gute Instrumente, die passende Melodie zu finden. Wenn man sich nicht allzu ernst nimmt, ist man gut geschützt vor Sprachpomp und überzogenenen Bedeutungsvermutungen, was die eigene Person angeht.
Auf den ersten Blick wirken die Themen Deiner Bücher sehr umfassen, vielleicht auch ein bisschen abstrakt. Wie suchst und findest Du den Stoff?
Am Anfang sammele ich wie ein Blauwal, der Plankton inhaliert und alles Nicht-Nahrhafte rausfiltert. Hat man einmal ein Thema gefunden, verändert sich der Blick auf die Welt. Man beginnt, die Wirklichkeit mit der ständigen Frage im Hinterkopf abzurastern: Könnte das zu meinem Thema passen? Oder passt es nicht? Dabei stößt man manchmal auf ganz überraschende Ideen, die später das Salz in der Suppe des Schreibens sind Überraschungen an der Tagesordnung. So wird in der Fülle der Eindrücke und Informationen um einen herum die Fragestellung des Buches für eine Zeitlang zum ordnenden Gedanken.
Wie lange dauert die Blauwalphase?
Das kann Monate dauern, manchmal Jahre. Am Ende sitzt man da mit Ordnern voller Zeug, das aufgeräumt, strukturiert und sortiert werden muss. Das ist die Zeit der ersten Entscheidungen. Was darf mit ins Buch, was nicht? Das Thema konkretisiert sich, die erste Gliederung ist fertig. Und schließlich lässt es sich nicht mehr aufschieben. Man muss mit dem Schreiben anfangen.
Dann reden wir frei nach Heinrich von Kleist über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Gehen. Lange Spaziergänge gehören für Dich zum Schreibhandwerk. Was passiert denn da?
Beim Gehen ordnen sich die Gedanken fast wie von selbst. Ich stelle mir vor, jemandem zu erzählen, was ich vorhabe, welche Probleme und offenen Fragen es gibt. Das kann ein fiktiver Gesprächspartner sein oder eine Person, die nur gerade nicht da ist. Oft stellt sich dabei schon richtige Ton ein. Dann ist das Handy zum Diktat dran.
Für wen schreibst Du?
Einmal für Menschen, die bei der Lösung ihrer Probleme ausgetretene Pfade verlassen wollen und lebensdienliche Inspiration suchen. Ein Buch schreibt man aber immer auch für sich selbst. Andere kann ich ohnehin nur begeistern, wenn das Thema auch etwas mit mir selbst zu tun hat. Menschen sprechen zu Menschen. Darum geht es. Eine kalte Flamme entfacht nunmal kein Feuer.
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Zum Bücher schreiben braucht man Muße. 2009 suchte Ulrich Schnabel um sechs Monate unbezahlte Auszeit von der Redaktionsarbeit nach. Bald stand er vor der Entscheidung, eine solche Regelung und die geteilte Karriere auf Dauer zu stellen. Lebensentscheidungen dieser Größenordnung nimmt man nicht auf die leichte Schulter. Sollte er das Risiko eingehen? Gegen anfängliches Zaudern half das Gespräch mit einem guten Freund. „Warum nicht?“ fragte der lapidar. Als „Muße“ schließlich ein Erfolg wurde, begann die andere Karriere des Wissenschaftsjournalisten Ulrich Schnabel.
Bücher von Ulrich Schnabel (Auswahl)
Muße. Vom Glück des Nichtstuns
Blessing Verlag, 2010
288 Seiten, mit Abbildungen
ISBN: 978-3-89667-434-0
Was kostet ein Lächeln?
Erschienen: 2015
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 336 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, 18 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-89667-492-0
Zuversicht
Erschienen: 2018
Hardcover mit Schutzumschlag,
256 Seiten, ISBN:
978-3-89667-513-2
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