„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Ludwig Wittgensteins Diktum ist Grund genug, mehr als eine Sprache zu sprechen und die Grenzen zu überschreiten. Doch der Weg in ein neues Universum kann steinig sein – vor allem, wenn man Sprachen nach klassischer Schulmanier lernt. Wie es anders funktioniert, erklärt Dr. Maria Giovanna Tassinari.
Giovanna Tassinari
Das Lernen lernen

Man kann sich das Leben schwer machen, vor sich hinbüffeln, die Grammatik hassen, ständig die Vokabeln vergessen und schließlich frustriert aufgeben. Wer kennt nicht die Klippen des Lernens, die so schwer zu umschiffen sind, wenn man nichts anderes kennt als die klassische Schulbildung. Subjekt, Prädikat, Objekt, Gerundium, Mund halten und vor allem: keine Fehler!
Doch klassische Wissensvermittlung ist das eine. Echte Kompetenz aber entsteht, wenn Informations- und Handlungswissen zusammenkommen.
„Natürlich ist Grammatik wichtig“, sagt Giovanna Tassinari. „Aber was nützt sie mir, wenn ich nicht sprechen kann?“
Giovanna Tassinari leitet das Selbstlernzentrum im Sprachenzentrum der Freien Universität Berlin. Hier können sich Sprachlernwillige, die keinen klassischen Gruppenunterricht wünschen, zu autonomen Lernern weiterentwickeln. Hier wird nicht verordnet, sondern ermutigt. Und anstatt die Fehler zu zählen und eingehend zu besichtigen, heißt es: „Du bist schon ganz schön weit gekommen.“
Autonomes Lernen
Was nach einsamem Studium im stillen Kämmerlein klingen mag, ist in Wahrheit eine wirkungsvolle Methode, das Lernen zu lernen. Beim automomen Lernen geht es nicht um individuelles einsames Studieren. Vielmehr können sich Sprachwillige im Selbstlernzentrum Kompetenzen und Methoden aneignen, ihre eigenen Lernstrategien zu entwickeln und auszubauen.
„Autonome Lerner setzen sich ein möglichst konkretes Ziel“, nennt Giovanna Tassinari einen ersten wichtigen Schritt. „Es macht einen Unterschied, ob Sie ein persönliches Interesse an der Sprache haben, oder ob Sie im Ausland studieren wollen. Ein Berufspraktikum verlangt andere Fertigkeiten als die Bewältigung von Alltagssituationen. Wollen Sie einen Vortrag halten, einen Konferenzbeitrag verstehen, oder wollen Sie etwas schreiben?“
Je konkreter man also das Ziel definiert, umso besser kann man die eigenen Lernstrategien darauf ausrichten – und umso passgenauer lassen sich die notwendigen Arbeitsmatererialien dazu auswählen.
„Besonders wichtig ist dabei, eigene Stärken zu erkennen und Schwächen nicht zum Katastrophenfall werden zu lassen“, sagt Giovanna Tassinari. Eine wichtige Komponente der Entwicklung zum autonomen Lerner ist es, selbstbewusst eigene Erfolge zu erkennen und anzuerkennen, anstatt sich grämend mit den ohnehin unvermeidlichen Fehlern herumzuschlagen.
Kaum ein schulischer Charakterzug richtet mehr Schaden an als die altgediente intolerante Fehlerkultur. Denn sie erzeugt eines der größten Hindernisse für die Verständigung unter Menschen verschiedener Idiome: Sprachangst.
Die ist selbstredend – wie wir alle schon erlebt haben – vollkommen überflüssig. „Überall auf der Welt freuen sich Menschen, wenn ich sie in ihrer eigenen Sprache anspreche“, sagt Giovanna Tassinari. „Und seien es auch nur ein paar wenige Worte.“
Lerntypen
Für die Entwicklung der passenden Lernstratregien sind nicht nur eine möglichst konkrete Zielsetzung und pragmatische Herangehensweise nützlich. Auch ein Blick ins Innere kann hilfreich sein. So frage sich, wer sich ins nächste (Sprach-)Abenteuer stürzt: Wie lerne ich gern? Wie gut passen meine Strategien zu meinem Ziel und zu den Inhalten, die ich lerne?
- „Kommunikative Typen lernen gern beim Zuhören“, erklärt Giovanna Tassinari. „Sie gehen zum Sprachenlernen gern ins Kino und plaudern anschließend über den Film.“ Allerdings muss hier gelegentlich die systematische Ebene gestärkt werden, zum Beispiel müssen Wortschatz und Satzbau gelernt werden, um über Handlungen, Figuren oder Atmosphäre zu sprechen und die eigene Meinung auszudrücken.
Was hilft? „Konversation ist natürlich immer gut. Aber man kann den Gesprächspartnern auch einmal schreiben.“ - Die Analytiker unter den Sprachadepten wollen erst einmal verstehen, wie die Sprache funktioniert, bevor sie sie anwenden. Sie begeistern sich für das neue Universum, das sie kennenlernen. Aber sie brauchen gelegentlich den
„Bitte nicht die Praxis vergessen. Mit anderen Worten: Gesprächspartner suchen und losparlieren!“ - Der dritte Lerntyp liebt das Spiel, das Sprechen und das Hören, lernt gern mit Beispielen, lieber im Theater als in der Schule. Auch hier fehlt es manchmal an der notwendigen Systematik. Wieder hilft Schreiben: „Wie wäre es mit einer kleinen Theaterkritik?“
- Und es gibt sie doch: Die Grammatikliebhaber, die gern allein lernen und Probleme im Futur Zwei ausknobeln. Sie lesen systematisch Zeitung und gehen den Dingen auf den Grund. In der Regel fehlt es hier ein wenig an Spontaneität. Ihnen rät Giovanna Tassinari, einen Text auch einmal durchzulesen, ohne bei jedem unbekannten Wort sofort ins Wörterbuch zu schauen. „Sie sollten auch mehr sprechen und dabei nicht so viel auf mögliche Fehler achten.“
Belohnung für die Horizonterweiterung
Die Wege in ein neues Sprachuniversum sind vielfältig, manchmal verschlungen, immer abenteuerlich und sicher oft auch anstrengend. Giovanna Tassinari erzählt von der Schriftstellerin Natalie Goldberg, die beschreibt, wie man den Weg – beim ebenfalls anstrengenden Schreiben – durch die Mühen der Ebene besser meistern kann. Wenn ein bestimmtes Pensum geschafft ist, gibt es eine schöne Tasse Kaffee und ein leckeres Stück Torte.
„Die Belohnung für ein Erfolgserlebnis ist eine sehr wichtige Methode, mit dem Lernen weiterzukommen“, weiß Giovanna Tassinari. Erfolg und Belohnung steigern das Selbstwertgefühl, was wiederum die Lernbegeisterung erhöht. „Wir wollen der intoleranten Fehlerkultur der Schule eine positive Psychologie entgegengesetzen.“
Schließlich erweitern Sprachen den Horizont, sie zu lernen, beflügelt das Denken, der Geist wird wach und aufmerksam, und wer wollte bezweifeln, dass man mit guten Sprachkenntnissen im Leben weiterkommt. Vor allem aber: Fremde werden zu Freunden.
„Der wichtigste Zweck, eine Sprache zu lernen, ist es, mit Menschen kommunizieren zu können.“
Giovanna Tassinari versicherte mir, dass die Werkzeuge des autonomen Lernens auch für alle anderen Lernstoffe geeignet sind – auch fürs Schreibenlernen.
Das Selbstlernzentrum
Auch wenn es so klingen man: Im Selbstlernzentrum ist niemand allein. Sprachlerncoaches helfen Klippen zu umschiffen und begleiten auf dem Weg in ein neues Sprachuniversum. Sie bieten individuelle Sprachlernberatung und unterstützen bei der Entwicklung der passenden Lernstrategie. Sie helfen bei der Auswahl aus der großen Vielfalt der Lernressourcen und organisieren den Austausch zwischen Lernenden.
Man kann kursbegleitend, selbstständig oder auch in einer Gruppe lernen. Eine besonders erfolgreiche Methode, sich eine Sprache anzueignen, ist das Lernen im Tandem: Zwei Menschen, zwei Sprachen.

Was immer man selbst – und autonom – lernen möchte (zum Beispiel auch Schreiben): Auf der Seite des Selbstlernzentrums gibt es viele wertvolle Hinweise dazu.
Freie Universität Berlin. Zentraleinrichtung Sprachenzentrum – Selbstlernzentrum
https://www.sprachenzentrum.fu-berlin.de/slz/index.html